13.5.18

Vorgezogene Mammut - Wahl in der Türkei: Wer? Was? Wie? Warum?

Vor einigen Jahren krakelte Erdoğan noch lautstark:
"Vorgezogene Neuwahlen sind ein Übel und kennzeichnen schwaechelnde Dmokratien aus. Wir haben diese Aera - Allah sei Dank - mit uns (der AKP) beendet."

Auch im Februar dieses Jahres winkte Premier Yıldırım ab: "Hört auf zu traeumen. Es gibt keine vorgezogene Neuwahlen."

Aus dem Universum erhielt der Parteichef der Partei der nationalen Bewegung (MHP), Bahçeli, jedoch eine Eingebung: "Es gebe Neuwahlen!"

Und eine Woche spaeter: Das republikanische Bündnis (die AKP und die MHP) kündigte - illegal- vorgezogene Neuwahlen an (ein Recht, das nur das Parlament hat).

Kurzum: die seit einem Jahr als stiller Koalitionspartner agierende MHP sagt dem Erdo, wo's lang geht...

Durch das Anheften der MHP an die AKP erzeugte die MHP jedoch so viel Missmut im eigenen Lager, das viele Parteiangehörige und Abgeordnete sich von der MHP verabschiedet haben.

Eine neue 'schwere' Alternative: Die "İYİ PARTİ"

Meral akşener ile ilgili görsel sonucu
Führt die laizistisch-kemalistische Konservative: Ex-Innenministerin Meral Akşener

Das Resultat: Die İYİ PARTİ entstand rund um die schwersten Kaliber der MHP, angeführt von der Ex - Innenministerin Meral Akşener.

Der "Kollateralschaden" durch die Gründung der "Guten Partei" wirkt sich bis heute in der derzeitigen politischen Landschaft der Türkei aus. Sie füllt letztendlich ein jahrelanges Vakuum, das sich die AKP jahrelang zu Unrecht unter den Nagel gerissen hat - die konservativen Waehler der ANAP bzw. der Demokrat Parti.

Meral Akşener war Innenministerin der Çiller - Regierung, die mit der Demokratischen Partei im Kampf gegen die PKK Ende der 90'er nachhaltig erfolgreich war, die türkische Armee von der offensichtlichen US - Spionage/Kontrolle befreite und nachhaltige innenpolitische Reformen auf den Weg brachte.

Mit der Abspaltung der İYİ Parti von der MHP, die im "republikanischen Bündnis" als Reserverad der AKP rechts-konservative Stimmen an sich binden sollte und im Kampf gegen das selbst geschaffene "Ungeheuer" Gülen - Sekte wirksam die Bürokratie unterstützen  soll (Hinweis: die MHP - Nomenklatura füllten einen grossen Teil im Beamten- und Bürokratenpool des türkischen Staates aus, den die AKP ja gegen Gülen - Sektenjünger ausgewechselt hatte).


Umfrageergebnis: Die Wahrscheinlichkeit, das die AKP Opposition wird betraegt 70%

Durch die echte Alternative im 65% breiten Mitte - Rechts Waehlerspektrum der Türkei laufen auch die Umfragen chronisch schlecht für die AKP. Selbst die erfolgreiche Afrin - Operation in Syrien konnten das Klima nicht zugunsten der AKP verbessern.
Die Wirtschaft ist schlecht.
Der Wert der türkischen Lira ist kurz vor dem freien Fall.
Ein gewaltiges Schuldenloch, das jetzt schon Generationen von Türken mit Schulden zur Welt bringen wird.

Das chronisch schlechte Umfrageergebnis wirft natürlich auch die immer wieder aufflammende Frage nach Wahlmanipulation und Wahlbetrug durch die AKP - Jünger auf.

Doch Akşener winkt ab:
"Wenn wir wieder solche Sachen wie beim letzten Referendum erleben sollten, dann kann man uns aus dem Gebaeude der obersten Wahlkommission nur noch mit Gewalt herausholen (Hinweis: ca. 1,5 Millionen ungültige Stimmen wurden von der obersten Wahlkommisson im Referendum anerkannt, damit das von der AKP angestossenen politische Referendum mit über 50 % durchgeschubst werden kann)."


Neues Regierungssystem, doppelte Wahl

Das neue Regierungssystem sieht derzeit den Staatspraesident als Regierungsspitze an. Die Minister und der Premier sollen somit 'Secretaries' werden - wie in den USA. 
Das Parlament wird aufgestockt von 550 Abgeordnete auf 600 (auch wenn im Plenarsaal der Platz für die weiteren 50 Sitze fehlen :P).
Die 10% - Hürde existiert, doch mit Bündnissen wird die 10% - Hürde umgangen. Das führt dazu, das im Prinzip jedes Mitglied im Bündnis die Möglichkeit hat, einen Abgeordneten zu stellen.

Eine Stimme geht daher an die Abgeordneten, die man waehlt - die andere geht an die/den Regierungspraesident(i)en, der/dem man die Regierungsverantwortung übergeben möchte.

Sowohl Meral Akşener als auch Muharrem İnce, der Kandidat der republikanischen Volkspartei CHP als auch Temel Karamollaoğlu, der Kandidat der alten Erbakan - Partei (Saadet Partisi) kündigten an, das sie den Weg, den Erdoğan durchgeboxt hat nicht fortführen werden und eine Rückkehr ins parlamentarische Regierungssystem nehmen werden.


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Erdoğan's Protzpalast - Laufende Kosten: 20 Mindestlöhne pro Stunde
Sowohl Akşener als auch İnce kündigten jetzt schon an, das sie nicht in dem von Erdoğan fragwürdig errichteten Protzpalast regieren werden.

Das Volksbündnis gegen das Republikanische Bündnis

Durch die massiven Anstrengungen aller Oppositionsparteien (das PKK - Organ, die HDP bleibt hier aussen vor) wurde rechtzeitig vor dem Ablauf der Meldefrist das Volksbündnis in die Wege gerufen, das allen  Mitgliedern den Weg ins Parlament ebnet. Derzeit sind 5 Parteien im Volksbündnis, darunter die CHP und die İyi Parti.

100.000 Unterschriften um die Praesidenten - Kandidatur zu ermöglichen

Die AKP und ihre politischen Tricks und Intrigen nehmen kein Ende. Bis Ende April hinein wusste man nicht, wie und wo man Unterschriften sammeln konnte. Auch wenn Meral Akşener sich ihrer Sache sicher war: die einzige Möglichkeit für die İYİ Parti in einer Wahl ins Parlament zu kommen, bestand darin, mindestens 1 Jahr als Partei zu existieren.  Dies war aber durch das "elegante" Vorziehen der Wahl nun aber blockiert.

Der historische Vorstoss der Staatsgründerpartei CHP

Um diesen Umstand zu begegnen, handelte die CHP atemberaubend: Der Chef Kemal Kılıçdaroğlu gab die Anweisung, das 15 Abgeordnete sich von der CHP trennen sollten und Mitglied der İYİ Parti werden sollten. Dadurch hatte die İYİ Parti automatisch eine Fraktion im Parlament, umging die 1 Jahresregel und kann in der Abgeordnetenwahl ebenfalls teilnehmen!


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CHP Chef Kılıçdaorğlu (links) und Praesidentschaftskandidat Muharrem İnce

Die Gründung der İYİ Parti besiegelt nicht nur den Niedergang der 40 jaehrigen nationalen MHP, sie korrigierte allein durch ihre Existenz sogar die Nominierung des Kemalisten Muharrem İnce als Praesidentschaftskandidaten (keine Praeferenz des eher sozialdemokratischen Kemal Kılıçdaroğlu), das innerhalb der CHP - Basis als lang ersehnter Richtungswechsel gesehen wird.

Die CHP Nomenklatura wird derzeit von den Soros'schen / EU - geleiteten Transformationsversuchen, die CHP als pflegeleichte, kompromissbereite sozialdemokratische Partei umzubauen, das sich nicht mit den Interessen ihrer eigenen anti-imperialistisch erzogenen Basis deckt.

TAMAM - ein Wort Erdoğans' wird Kult.

"Wenn mein Volk 'TAMAM' sagt - und nur dann - sind wir bereit, die Regierung jemand anderem zu übergeben" sagte Erdoğan letzte Woche.

Es kam zu einem über 3 Millionen #TAMAM ("das reicht, is' ok") - Shitstorm innerhalb der ersten 48 Stunden in den sozialen Medien.
Die BOT - Antwort der AKP mit #DEVAM (weiter) wurde z.B. von Twitter erkannt und regelrecht weggefiltert: über 300.000 Bot - Konten vom Social Media - Tagteam der AKP wurden gelöscht.

Resultat: Alles offen...

Zum ersten Mal seit 16 Jahren besteht eine breite Oppositionsbasis. Die gegründete İYİ Parti ist eine Alternative für
  • protestierende Nichtwaehler (rund 15 - 20% der Waehler), 
  • frustrierte, unzufriedene AKP - Waehler, deren politische Herkunft z.B. eh' aus der Zeit Demirels oder Özals stammen,
  • CHP - Waehler, die ihre Partei zu "Sozi", zu soft empfinden.
Ihre Kernmitgliedschaft kommt neben der MHP aus dem jungen akademischen Lager und Frauen, die sich Meral Akşener als Leitfigur wünschen.

Wir können relativ sicher sein das
  1. Erdoğan nicht im ersten Anlauf als Praesident gewaehlt wird.
  2. Die AKP durch das neue Bündniskonzept unmöglich 300 Abgeordnete ihr eigen nennen wird können.
  3. Der chronische AKP - Wahlbetrug durch die fast schon militante Haltung ihres Praesidentschaftskandidaten schnell eine innenpolitische Krise herbeiführen kann. 
Kurzum: Ende Juni wird es spannend in der Türkei.
Aber womöglich auch unregierbar.....