8.2.09

Die AKP im freien Veruntreuungs - Fall

Kommunalwahlen '09 Türkei: Die AKP rutscht auf unter 30% ab...

Die erste, für die EU – Beitrittsverhandlungen als 'brauchbar' eingestufte Regierung in der Türkei (eine in ihren Fundamenten bisweilen als fundamentalistisch – wirtschaftsliberal geltende Partei) sieht sich seit ihrer Wiederwahl in 2007 mit Wahlcomputer – gedopten 47% der Stimmen in einem stetigen Abwindsstrudel. Wir wollen hierfür einige mögliche Gründe aufzeigen.


Veruntreuung und Schmiergeldaffaeren – der Auftakt 2008

Seit 2008 häufen sich in der Türkei Anzeigen bezüglich Veruntreuungen sprunghaft“, so der CHP Istanbul - Kandidat für die Kommunalwahlen in 2009, Kemal Kılıçdaroğlu.

Der dedizierte „Vollblutbeamte“ oder „ Fiskalspezialist“ aus Tunceli aus dem Osten der Türkei von der sozialdemokratischen CHP (Republikanische Volkspartei) hatte 2008 mit der Aufdeckung von Grundstückswertschieberein des AKP Parteisprechers Şaban Dişli von mehreren Millionen Euro für den Rücktritt und Verurteilung Dişlis' gesorgt.

Die sich selbst als AK – Parti (ak = weiß, rein, sauber) titulierte „Gerechtigkeits- und Aufschwungspartei“ erwachte als Ableger der Milli Görüş – Partei RP (Refah Partisi), nach einer mit USA - Kapital initiierten Wirtschaftskrise in der Türkei (der erste Eklat mit den berüchtigten Hedge Fonds), bei der die Koalition von Ecevit (Demokratische Links-Partei) und Nationalkonservativen und Liberal – Konservativen zu Fall gebracht wurde. Obwohl die Wirtschaftszahlen ausgeglichen waren, konnte die galoppierende Inflation und der damit verbundene Run auf Fremdwährung nicht aufgehalten werden.

Die AKP trat nun als eine junge Partei, jedoch wohlorganisiert mit Ex – RP-Funktionären als Partei an, die„dem Bakschisch einen Kampf“ angesagt hatte.

Die Regierungspartei AKP hatte aber bereits während ihrer Regierungszeit sonderbare Gesetze und Regelungen getroffen, die bestimmte AKP Bürgermeister und Politiker so regelrecht beschützte. Das merkwürdige Wahlsystem bescherte der AKP trotz geringerer Prozentzahlen eine absolute Mehrheit im türkischen Parlament (TBMM) und war somit ein Garant für das schnelle Absegnen von Gesetzen.

Die Ratifizierung aller Gesetze als Pflicht beim Staatspräsidenten führte in der letzten Legislaturperiode jedoch zu erheblichen Reibereien zwischen Regierungschef und dem damaligen Staatschef Sezer.


Die Montage des pro - AKP Sataatspraesidenten Gül: freie fahrt für die AKP zu einer pseudo-islamischen Oligarchie?

Mit dem Ende der Präsidentschaftsperiode Ahmet Necdet Sezers musste das Parlament nun einen neuen Präsidenten wählen.

Doch der von der AKP präferierte ideologisch fundamentalistische aussenminister der AKP, Adullah Gül, wurde mehrmals nicht gewählt – eine 2/3 Mehrheit konnte nicht gefunden werden. Nach den Neuwahlen und der 47% - Wahl sah die AKP sich in ihrem religiösen Umbauversuchen in der Türkei bestätigt. Die Wahl des Präsidenten erfolgte danach. Obwohl anders angekündigt, wurde Gül erneut als Kandidat für das höchste Amt in der Türkei nominiert.

Mit Hilfe der Stimmen der Nationalkonservativen MHP wurde Gül zum Staatspräsidenten gekürt. Der fragwürdigen Persönlichkeit Güls kam neben der Schwäche für Luxus seiner Frau auch noch eine Degradierung seines Amtes als Notar der Regierung AKP: alle zu Revision von Sezer annullierten Gesetze wurden dank Gül in Rekordzeit abgenickt und ratifiziert. Der Praeisdent dient aber bei der Legislative ausdrücklich als analytisches, kritisches Regularium der türkischen Gesetzgebung und nicht als Ratifizierungsbüro der Regierung!

Die AKP sah sich nun vollkommen frei in ihren Aktionen. Als nächstes wurde erst einmal das Kopftuchverbot in den Schulen aufgehoben.

Das Konzept eines laizistischen Staates sieht vor, aus werterechtlichen Gründen zu jeder Religion - auch der mehrheitlich ausgeübten Religion im Lande - aequi-distant zu sein.

Dies resultiert z.B. in der Türkei u.A. in einem strikten Kopftuchverbot in staatlichen Einrichtungen, das wie das Kreuz eines Christen oder der Kappe oder dem Davidstern nicht erlaubt ist. Vielen Deutschen ist z.B. nicht bewusst das sie keineswegs in einem Staat leben, der Religion und Politik strikt trennt. Allein das Christentum als Leitkultur zu titulieren (s. derzeitige CDU/CSU/SPD - Regierung) ist ein profunder schaedlicher Beweis für diesen Sachverhalt. Nun gut.

Die Aufhebung des Kopftuchverbots in den Schulen wurde dabei aber gerade von der AKP - Basis nur als Türöffner und als Anfang eines Umbauprozesses in der Türkei angeführt. Diesen Stimmen verpasste Erdoğan aber einen schnellen Dämpfer und erlies ein globales Aussageverbot zu diesem Thema an die Parteibasis.

Zu spät, wie sich herausstellen sollte.


Verfassungsgericht: „AKP ist anti-laizistisch, wird aber (noch) nicht geschlossen“

Die Generalstaatsanwaltschaft hatte bereits seit geraumer Zeit Beweise gegen die anti-laizistischen Aktivitäten gesammelt. Die Aufhebung des Kopftuchverbots durch die AKP brachte den Stein anschließend zum Rollen.

Das Verfassungsgericht gab dabei mit 10 von 11 Stimmen der Staatsanwaltschaft recht, folgte aber nicht dem Parteischliessungsantrag der Generalstaatsanwaltschaft. Stattdessen wurde der Partei eine Ressourcenkürzung für Wahlen um 50% auferlegt sowie entsprechende anti-laizistischen Gesetzesänderungen annulliert.

Die AKP ist nun vorbestraft.

Das Projekt Osmanisierung und Islamisierung der Türkei wurde somit von der Türkei erst einmal für unbestimmte Zeit aufs Eis gelegt.


Offenlegungswelle der Veruntreuungen der AKP durch die sozialdemokratische CHP

Kemal Kılıçdaroğlu von der sozialdemokratischen CHP nutzte diesen Dämpfer, die mittlerweile täglich zu Dutzenden bei der Opposition auflaufenden Anzeigen von Beamten gegen Veruntreuungen von AKP Politikern zu analysieren und publik zu machen.

Die Beamten gehen bei ihren Anzeigen den anonymen Weg über die Oppositionspartei, um sich und ihre Familien vor Übergriffe und Maßnahmen durch die AKP zu schützen und gleichzeitig ein Versanden der Anzeigen durch AKP – konforme Staatsanwälte und Richter zuvorzukommen.

Trotz des Drucks der AKP auf die freie türkische Presse, trotz einer eigenen begünstigten Medien – Armada, die aber verhältnismäßig wenig Wirkung erzielt sprangen die Medien auf die aufgedeckten Veruntreuungsaffaeren an.


Der erste Schlag: Demontage des AKP – Parteisprechers Şaban Dişli

Kemal Kılıçdaroğlu öffnete die erste Akte im Frühherbst 2008. Dort kam es zu Spekulationsschiebereien und unlauteren Grundstücksgeschaeften in Millionenhöhe, die Şaban Dişli begangen hat. Şaban Dişli wurde von seinem Amt entlassen.


Der zweiter Schlag: Demontage eines der AKP – Kurdenführer, Dengir Mir Fırat

Kemal Kılıçdaroğlu öffnete die zweite Akte einen Monat spaeter. Diesmal kamen die Machenschaften des politischen Experten der AKP, Dengir Mir ('Baron') Fırat zum Vorschein. Fırat gilt als wichtigster Mann in der AKP, die den islamisch - kurdischen Flügel (mit fast 30% der Abgeordneten) zusammenzuschweissen und auf Erdoğan – Linie zu bringen.

Die Exportspeditionsfirma Fırats' wurde 2006 beim Heroinschmuggel für die PKK mit einem 90 Kilo – Fund auf ihren Lastern verurteilt. Doch Beschlüsse und Richterentscheide wurden, wie es scheint, unsichtbar gemacht um die ganze Sache vergessen zu machen. Kemal Kılıçdaroğlu ging dieser Spur nach und fand die Stellen, die für die Vertuschung verantwortlich waren. Fırat trat bei einer Medienschlacht vis-a-vis im Fernsehen mit Kemal Kılıçdaroğlu dabei selbst in Widersprüchlichkeiten.

So kam es zu einer eleganten AKP – typischen Kündigung: Fırat trat von seinem Amt als AKP Vorstandsmitglied aus Altersgründen zurück.


Der dritte Schlag: Veruntreuung durch mehrere AKP Bürgermeister

Kemal Kılıçdaroğlu legte anschließend weitere Grundstücksschachereien von drei Bürgermeistern auf. Wieder wurden Strafanzeigen beantragt - und 'Köpfe rollten'.


Der vierte Schlag: Gaszaehler - Beschiss des AKP- Bürgermeisters von Ankara, İ. Melih Gökçek

Kemal Kılıçdaroğlu lässt nicht locker: als nächstes trat er in einem Medienduell gegen İ. Melih Gökçek, dem Bürgermeister von Ankara an. Die Anschuldigungen lauteten hierbei wie folgt: Gökçek, dem bereits bei der Vergabe der Ausschreibungen für die Installation der Erdgasinfrastruktur in Ankara Unregelmäßigkeiten nachgewiesen wurden (es aber durch eine Gesetzesänderung der AKP nicht zu einer Verurteilung Gökçeks kam), hat auch vor der Bevölkerung nicht Halt gemacht im Beschiss.

Die Firma, die für die Verteilung der Gaszähler das Monopol erhalten hatte, die 'Ego Ltd.' (mit einem Verwandten von Staatspräsident Gül als Partner!), importierte die digitalen Gaszähler von der EU aus einer Freihandelszone heraus nach Ankara und gab dabei einen Einkaufswert von knapp 60 Euro pro Zähler an. Eben diese Geraete produzierte eine türkische Firma dabei und exportiert sie zu einem Exportpreis von 45 $ das Stück, das nebenbei. Verkauft wurden diese Zähler an die Bürger von Ankara jedoch für sage und schreibe 300 US-$!

Und es kommt noch dicker: Die Firma Ego berechnete den Bürgern von Ankara jährliche Wartungsgebühren von 300 $, obwohl diese gemaess Ausschreibungsklausel kostenlos zu entrichten waren!

Als drittes kam es zu Fehlern in den Gasrechnungen durch die digitalen Zählern, die offensichtlich einfach zu manipulieren waren als die günstigeren analogen Zähler Institutionen bekamen auf Grund ihrer Klagen recht. Die Stadt Ankara hat somit über die Ego Ltd. illegale Mehreinnahmen in dreistelliger Millionen $ - Höhe zu verzeichnen.
Ohne Klage tritt
Gökçek's Verwaltung jedoch nicht pro-aktiv in Aktion bei den Rückzahlungen.

Als viertes sind die Saeumnisse der Stadt Ankara bei der Zahlung der Gaslieferung durch die BOTAŞ AG in einer Höhe von ca. 3 Milliarden US-$ aufgeführt, die die BOTAŞ AG in der aktuellen Krise in arge Liquiditätsprobleme brachte. Ihr blieb nichts übrig als die Gaspreise um weitere 30% zu erhöhen! Die Stadt Ankara windet sich seit 2005 um diese Zahlungen, obwohl das Geld von den Bürgern Ankaras' monatlich erhoben werden! Auch hier wurde das Kartellamt und die Justiz tätig.

Doch die AKP erließ 2007 Sondergesetze für Stadtverwaltungen, womit Gökçek wieder ungeschoren davon kam.

Dies alles brachte zwar keine weitere Amtsaufgabe. Doch die Umfragen in der Türkei kippten. Die AKP wurde selbst von eigenen Demoskopie – Unternehmen in die 30er Marke bei den Stimmen der Bürger bewertet.

Gökçeks erneute Nominierung für die Kommunalwahlen zu den Bürgermeisterwahlen 2009 war bis Januar 2009 in der Schwebe.

Die AKP wurde jedoch zur erneuten Nominierung ermuntert, als eine Recherche Gökçeks publik wurde: Gökçek lies mit öffentlichen Mitteln (!) untersuchen, was die Schwachstellen der AKP und Erdogans' seien, und wie man evtl. die AKP am besten angreifen könnte!

Die AKP ist mittlerweile gemaess eigener Demoskopen auf ihre eigentliche Kernwaehlerschaft von 28% geschrumpft. Sie hat viel bereits „Federn gelassen“.

Die geplant wirkende Davos – Eskapade Erdoğans ist daher lebenswichtig gewesen für die AKP. Mit ihr erhofft man den Abwärtstrend der AKP aufzuhalten.

Doch Kemal Kılıçdaroğlu lässt nicht locker: Als nun frisch nominierter Kandidat für die Bürgermeisterschaft Istanbuls' bereitet sich Kemal Kılıçdaroğlu auf die nächste Akte vor: Bürgermeister Kadir Topbaş von Istanbul sowie Tayyip Erdoğan selbst.

Doch noch blieb es bei der Ankündigung der CHP und Kemal Kılıçdaroğlu. Das Bonbon wird höchstwahrscheinlich am Vorabend der Wahl eröffnet. Doch Kemal Kılıçdaroğlu lies bereits etwas durchsickern: die Goldhandelsfirma Atagold Ltd., bei der die Familie Erdoğan beteiligt sei, aber ihre Namen irgendwie aus den HR – Auszügen versucht wurden, vertuscht zu werden, machten ihn neugierig und liessen ihn recherchieren...Hinzukommt, das diese Golfirma der Familie Erdoğan trotz zweistelligen Millionengewinns prinzipiell keine Steuern zahlt.


Erdoğan - in 6 Jahren mit einem Ministerpraesidentengehalt zum Dollar - Milliardaer...

Man darf gespannt sein, denn jeder fragt sich seit geraumer Zeit nur noch eines:
Wie konnte ein einfacher Ministerpräsident innerhalb von 6 Jahren Amtszeit ausgewiesener Dollar-Milliardär werden?

Am Ende bewahrheitet sich womöglich doch wieder der Grundsatz bei den Wahlen in der Türkei: Schmiergeldaffaeren sind das Ende einer Macht einer jeden Regierungspartei. Auch die AKP ist hier trotz ihrer perfekten Organisation und professionelleren Berater keine Ausnahme.

Die Devise 'Hauptsache die Regierung macht irgendetwas für das Volk' hat der AKP die Wiederwahl beschert. Doch im Rahmen der derzeitig aktuellen wirtschaftlichen Krise erkennt auch der Waehler, das die AKP mit ihren Wohlfahrtsgeschenken (z.B. Heizkohle für die Bevölkerung für lau) letztendlich damit eingeraeumt hat, das auch sie keine Lösung für die Arbeitslosigkeit und die explodierenden Lebenshaltungskosten in der Türkei hat.

Die Veruntreuungsskandale sind so nur der Tropfen auf den heissen Stein bei den Waehlern. Der Traum von dem frischen Wind in der türkischen Politik durch die AKP ist ausgetraeumt.

Nach den Kommunalwahlen wird spaetestens ein Kassensturz faellig, um zu überblicken, wie hoch der Schaden sich belaeuft, den die AKP dem Staat Türkei zugefügt hat.

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