23.12.05

In der Sache Orhan Pamuk: die neue 'Bauernfigur' der EU

Wie wir alle wissen, steht das von der EU installierte 'literarische Aushaengeschild' der Türken, Orhan Pamuk, aufgrund eines Interviews, in dem er von einer schweizer Tageszeitung angeblich falsch zitiert wurde, worauf er im türkischen Fernsehen diese Aussagen als falsch wiedergegeben darstellte (wir berichteten im Blog), nun aufgrund eines nagelneuen Gesetzes in der Türkei vor Gericht.

Fragwürdig ist hier zunächst einmal das Verhalten Pamuks':
jeder halbwegs seriöse Schriftsteller würde eine Richtigstellung eines Pressebetreibers erwirken.
Eine Richtigstellung wäre also nur logisch und würde seine Aussagen im türkischen Fernsehen dahingehend bestätigen. Pamuk hat durch das bewusste Unterlassen dieser Forderung Zweifel entstehen lassen und damit bei seiner Bevölkerung entscheidend an Kredit, auch in der türkischen Intelligenz, verloren.

Und nun zur Sache:
Der Paragraph 301 in der türkischen Verfassung stellt beweisfrei ausgerufene 'rufschädigende Aussagen', die dem Ansehen der Türkei und 'Türken' (den Staatsbürgern der Türkei) schadet, unter Strafe - 6 Monate bis 5 Jahre. Soweit das Technische.

Das Witzige an der Sache ist das Gesetz an sich:
es wurde im Rahmen der Revisionierung der türkischen Gesetzgebung und Anpassung an EU-Recht - mit Einverstaendnis der EU - novelliert!
Keine Sichtungsinstanz der EU hat diese Gesetzesnovelle auch nur ansatzweise kritisiert.

Nun wird es interessant:
Das Gericht muss nun entscheiden, ob Pamuk seine Aussagen vor oder nach dem in Kraft treten dieses Gesetzes gemacht hat.

Herr Pamuk ist dabei wohl eher ungewollt zwischen die Räder der verschiedenen Instanzen geraten. Vor allem wird er jetzt ausgiebig als medienwirksames Werkzeug veralteter, aus den 80ern und 90ern bekannten komplex-behafteter, hintergründiger anti-türkischer Polemik* verwendet.

Schnell finden sich überall erstaunliche Wortzauberer, die teilweise soweit gehen, das Gesetz als Vorbereitung für Pan - Turanide Ideen zu sehen.

Hier wird eindrücklich noch einmal darauf hingewiesen, das eine beweisgeführte Kritik am Verhalten der Türkischen Regierung von Turanoid als existenziell erkannt wird. Das haltlose und im Inhalt unterschiedlich bewertbare Aussagen von Personen seitens der Regierung in Ankara geahndet werden können, zeigt eine türkische Zeitgeistakzeptanz und ist daher legitim.

Eine Person/ein Betrieb/eine Institution hat ein Anrecht auf den Rechtsweg, wenn es sich in seinem Ruf geschädigt ansieht. Kann der Unterstellende diese Aussagen klar beweisen, so sind seine Aussagen korrekt. Werden diese aber widerlegt (wie diese schon mehrmals z.T. als Fälschungen bewiesen wurden), oder kann er/sie diese nicht beweisen, ist eine rechtliche Verfolgung doch legitim und rechtstaatlich, oder nicht?

Orhan Pamuk, seineszeichens Schriftsteller, hat hier einige Korrekturen vorzunehmen, möchte er sich wieder Gehör und Achtung bei der türkischen 'Intelligenz' verschaffen:

- Entweder er fordert eine Richtigstellung des schweizer Blattes (dazu siehe auch "schweizer Intervention').
- Oder er bittet - vor allem - europäische Gremien sich nicht in einen Fall einzumischen, der sie nunmal gar nicht angeht.

Wenn Herr Pamuk diese Wege sachlich beschreitet, ist kein Sinn in irgendeiner Verhandlung Pamuks zu sehen. Der Fall erledigt sich von selbst.

Wie wir alle wissen, findet im Gegensatz zu vielen Armeniern und in Armenien in der Türkei eine kritische Auseinandersetzung mit der armenischen Deportation in 1915 statt, obwohl Atatürk ausdrücklich darauf hingewiesen hat, das diese Altlasten des osmanischen Reiches in Kriegszeiten der Republik Türkei nicht angerechnet werden kann.

Das osmanische Reich ist untergegangen. Und mit ihnen ihre Forderungen als auch ihre 'Schulden'. Die letzten Gesinnungsgenossen dieses Systems wurden in der Türkei im übrigen 'vor den Kadi' gestellt und mußten sich in dem republikanischen Gericht verantworten.

Mit der justiziellen Abrechnung des osmanischen Reiches und ihrer Gefolgsleute und deren Ausschluß aus jeglichem sozialen Leben ist die Türkei sogar weiter gegangen als andere 'demokratische' Staaten, die keine Probleme darin sahen, Funktionäre und Persönlichkeiten und Würdenträger aus ihrer 'dunklen' Vergangenheit in ihre heutigen Demokratien zu 'installieren'.

Die aus einer 'kulturellen Revolution' hervorgegangene heutige Türkei ist daher frei von einer Schuld gegenüber fehlgeleitete Handlungen ihrer vorangegangenen osmanischen 'Aristokratie', welche überdies wie bereits erwähnt gerichtlich geahndet wurden.

Niemand in der westlichen Hemisphere interessiert sich heute dafür, ob das heutige Russland für die Greueltaten der ehemaligen Sowjetunion an verschiedenen Völkern verantwortlich gemacht werden soll oder nicht. Und niemand bespricht solche Themen vor allem im Bundestag (wie jüngst mit der Türkei geschehen)...

Niemand insteressiert sich für die Ächtung Frankreichs in den 50ern, als es nichts als Tot und Schrecken in seinen Kolonien Maghrib/Nordafrika verbreitete.

Wir stehen wieder vor einer klassich 'christlichen' Attitüde:
- Pick die Ungerechtigkeiten aus, die - wie auch immer - profitabel sind und in eine 'Gesamtstrategie' passen.

Europäische Polemik und Bigotterie in Topform also.

Und jedem, der etwas mehr über die Hintergründe der Deportation der Armenier erfahren möchte, empfiehlt Turanoid folgende Quellen:
- das deutsche Staatsarchiv in Berlin (vor allem die unter (warum auch immer) Verschluß gehaltenen Dokumente im 1. Welkrieg zwischen dem deutschen Reich und dem osmanischen Reich)
- das türkische Staatsarchiv für osmanische Geschichte
- das Buch Levon Panos Dabagyan 'die Armenier der Türkei'

*Anti-türkische Polemik = eine teils krankhafte Form der 'Menschenrechts - Neurose' in verschiedenen europäischen Staaten / Institutionen während der 80er und 90er, die zum Rassismus tendiert (Aussagen wie "die Türken sind menschenreschtsverachtend" waren damals Usus)