4.7.05

Wenn ein türkischer Schriftsteller in der FAZ Wort erhält...

..muß unbedingt eine Kritik gegenüber sein Heimatland enthalten sein. Ohne diese wäre anscheinend eine Veröffentlichung unmöglich.

Ahmet Altan durfte in der FAZ daher entsprechend etwas 'sagen'.
Wichtiger als die Behauptung Altan's, das die Türkei nur mit ihrer Geschichte nicht 'korrekt' umgeht, erscheint mir sein dezenter Hnweis, das in Europa der Stellenwert der Literatur stetig sinkt.

Die "Unkultur" führe mittlerweile dazu, das man Literaturpreise an Schriftstellern aus der 3.Welt oder Schwellenländern, wie jüngst Orhan Pamuk sie erhalten hat, leider nur noch an der Sozialcourage eines Schriftstellers indizierend vergibt. Die literarischen Qualitäten treten vollkommen in den Hintergrund.

Als Fantasiebeispiel liefert Altan folgende Situation: Wäre Emile Zola Pakistanerin, wäre für einen Europäer das Werk 'Ich Beschuldige' wichtiger als ihr Meisterwerk 'Germinal'...

Dies ist traurige Realität, besonders in Deutschland.

Was Altan als nativer Türke nicht wissen kann, ist, das dieser Sachverhalt ein Reflex ist, der aus dem Zwang resultiert, zivilisationstechnisch 'superior' wirken zu wollen.

Die Devise lautet:
Rede die Situaton in besonders geeigneten Ländern (wie z.B. der Türkei) genug schlecht, damit die eigene soziokulturelle Anarchisierung und Unbildung nicht behandelt werden muß.

Als Beispiele seien hier nicht nur Pisa genannt, sondern der immens düstere zeitgeistliche und tolerante Bildungsstand in den neuen Bundesländern. Die heute im Westen als 'Dunkeldeutschland' titulierte ehemalige DDR ist Objekt gängiger Ignoranz der heutigen Medien.

Umso schwieriger ist ausserdem nachzuvollziehen, wieso sich das Bundesparlament bei Vorhandesein solch eminenter innenpolitischer Probleme den eigentlich von Historikern und Geschichtswissenschaftlern zu analysierenden Problem der Aufdeckung der Geschehnisse um die Armenier im Jahre 1915 im osmanischen Reich annimmt!

Was aber auch wieder einmal auffällt, ist, das niemand von den 2.5 Millionen ermordeten Osmanen durch Daschnak/Hintschak – Terroristen, der roten Armee und Französischen Legionären (die eben aus den Armenischstämmigen Soldaten bestanden und auf Zypern ausgebildet wurden, die angeblich 1915 umgebracht wurden von den Osmanen) im Jahre 1919/1920, besonders nach der ungewollten Kapitulation des osmanischen Reiches auch nur ein Wort erwähnt.

Das Altan in seinem Interview mit der FAZ dieses nicht erwähnt, zeigt aber auch, das auch er an einer ausgiebigen Unterrichtung der Öffentlichkeit dieser Ereignisse nicht wirklich interessiert ist.

Dies ist ein Komplex einiger kritischer Schriftsteller in der Türkei, die sich einer protürkischen Selbstzensur unterziehen - eben jene, die deswegen im Westen Gehör bekommen.

Das diese Selbstzensur nicht notwendig ist, müssen Pamuk und Altan oder Kemal ebenfalls erst erlernen - so wie auch die Türkei z.Zt. eine gesellschaftliche Grundrenovierung durchläuft.